Chile & Daddy’s Girl

Es gibt eigentlich so vieles zu erzählen. Doch manchmal finde ich den Anfang nicht, um zu beginnen. Diese Eindrücke sind nicht einfach in Worte zu fassen, da ich generell keine gute Erzählerin bin. Ich werde jedoch mein bestes geben!

Was bedeutet eigentlich für dich Reisen? Nach was suchst du? Diese Frage habe ich mir nie gestellt, denn für mich war es von Anfang an klar, dass Reisen für mich was sehr emotionales ist. Man ist glücklich, weil man die Welt entdecken geht. Man ist traurig, weil man unsere Liebsten für eine Weile nicht mehr sieht. Man ist nervös, weil wir vielleicht nicht so gerne fliegen. Man ist verunsichert, weil vielleicht wir etwas wichtiges bei der Planung vergessen haben. Man ist genervt oder sogar wütend, weil etwas unerwartetes passiert. All diese Emotionen gehören zu uns und machen uns zu dem was wir sind.

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Cerro Artilleria, Valparaíso

Ich musste es selbst erleben – ich reiste 2012 von Bolivien nach Chile, um meinen Vater nach 17 Jahren wiederzusehen. Er verliess uns als ich noch eine Teenagerin war. Jahrelang wollte ich nichts von ihm wissen, bis ich irgendwann die Sehnsucht spürte. Ich wollte wissen, wer ich genau bin und was aus ihm geworden ist. Dank Hilfe meines Freundes, konnten wir ihn vor ein paar Jahren ausfindig machen. Meinem Vater ist ein Stein vom Herzen gefallen, als er meine Stimme am Telefon hörte. Ich war etwas verwirrt und gleichzeitig war ich froh, dass es ihm gut geht.
Diese Reise war für mich nicht nur eine normale Reise, sondern es war der pure Stress. Ich war sehr nervös und wusste nicht, ob ich überhaupt dieses Treffen wollte. Ich wusste, dass ich mich emotional  auf dieses Treffen vorbereiten musste und ging in eine Gesprächstherapie. Das half mir enorm!
Chile ist ein wunderschönes Land, ich fühlte mich wohl und es gab so vieles zu sehen. Die Busfahrten mit Turbus waren ein Highlight und auch ein Abenteuer, weil man mit den Locals unterwegs ist und somit gut ins Gespräch kommt. Leider hörte der Spass n Santiago auf, als wir von zwei jungen Chilenen mit dem Messer überfallen wurden. Ich brauchte dafür 2 Jahre um darüber hinwegzukommen.

„Das Messer an der Kehle haben.“

Noch heute, 5 Jahre später, habe ich Zwangsgedanken und Bilder wie „Messer an der Kehle haben“. Oder es gibt diese Menschen, mit diesem bösen Blick. Das löst in mir Unsicherheit und ein wenig Angst aus. Ich bin aber überzeugt, dass es irgendwann vorbei geht. Hoffe ich auf jeden Fall.

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Hafen von Valparaiso

Nach dem Überfall ging es uns gar nicht gut. Wir waren so wütend und traurig, sodass wir uns am gleichen Abend mit chilenischem Wein betrinken mussten. Wir blieben zwei Wochen in Santiago, bis wir den Polizeibericht erhalten haben. Mein Freund hatte zu dieser Zeit ein Taschenmesser dabei, um uns quasi besser zu beschützen. Wir waren emotional total am Ende. Und das Treffen mit meinem Vater kam erst noch! Wir fuhren dann mit dem Bus nach Valparaíso.

Valpo, so wie die Locals hier nennen, ist unglaublich schön, die vielen farbigen Häuser auf den Cerros. Mein Vater ist hier aufgewachsen und ich fühlte mich irgendwie stolz, einen Teil von Chile zu sein. Das Treffen verlief gut, ich war jedoch sehr angespannt und gleichzeitig sehr glücklich. Es gab vieles zu bereden und nach einer Woche gingen wir zurück nach Santiago. Ich war irgendwie froh, denn ich spürte in mir einen Drang von Chile wegzugehen. Es war alles einfach zu viel für mich und es ging mir gesundheitlich auch nicht gut. Wir entschieden uns deshalb früher zurück als geplant nach Hause zu fliegen.

„Ich fiel in ein Loch, wusste nicht mehr, ob ich den Kontakt zu ihm wirklich brauche.“

Der Überfall und die Geschichte mit meinem Vater war für mich emotional so heftig, dass ich nach meiner Rückkehr wieder in die Therapie musste. Ich fiel in ein Loch, wusste nicht mehr, ob ich den Kontakt zu ihm wirklich brauchte und wollte einfach nichts mehr über dieses Land wissen. Es brauchte eine Ewigkeit und kann nach so vielen Jahren endlich sagen, dass ich Stolz auf meine chilenischen Wurzeln bin. Seither bin ich aber nie mehr nach Chile zurückgekehrt. Ich weiss aber, dass ich wieder zurück muss, aber ich bin einfach noch nicht bereit.

Reisen ist für mich Leben. Ich erlebe gutes und schlechtes. „Man wächst an seinen Aufgaben“, und meine ist es, die Dinge so anzunehmen wie sie sind.

 

Die Welt entdecken

Es begann vor etwa drei Jahren. Mein Kopf war ständig am arbeiten. Ständig musste bei allem was geschehen ist, eine Lösung gefunden werden. Ständig musste mein Kopf versuchen, das Leben anders zu gestalten und das Glück in der Liebe wieder finden. Es ging so lange, bis meine grosse Liebe sich dann von mir getrennt hat und ich ganz alleine da stand. Nur ich und meine nervenden Gedanken. Das Problem hatte erst richtig begonnen – ich musste mir helfen lassen, denn meine Gedanken kamen nicht mehr zur Ruhe. Es wurde mir gesagt, ich leide unter Zwangsgedanken und das käme bei Liebeskummer noch oft vor. Alles gut, es brauchte Zeit und viel Geduld, auch für mein Umfeld war ich unausstehlich.

Es war Winter, draussen war kalt und überall lag Schnee am Boden. Ich bin ein Kind des Meeres und ich wusste schon immer, dass ich im falschen Land lebe. „Eine Veränderung wäre jetzt schön, doch was soll ich denn bitte ändern?“ dachte ich mir. Von irgendwo tauchte eine Stimme in mir auf, die sagte, los geh ans Meer und lerne surfen! Es klingt total komisch, aber so war’s. Deshalb buchte ich ohne viel zu überlegen eine Woche ein Surf & Yoga Retreat in Portugal, und zwar genau über Neujahr.

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Malveira da Serra, Portugal

Mit Herzschmerz flog ich zum ersten Mal nach vielen Jahren alleine nach Lissabon und wurde dort in der Nähe von Cascais herzlichst empfangen. Wir waren eine kleine weibliche Gruppe und es war einfach unbeschreiblich schön. Die Atmosphäre, das Essen, die Yoga-stunden und die vielen guten Gespräche haben mir enorm geholfen, mich zu erholen. Was das Surfen angeht, da hatte ich eine katastrophale Woche. Ich konnte nicht ein einziges Mal auf dem Surfboard stehen und hatte echt Angst vor dem Wasser! Ich war nur noch wütend und enttäuscht und gleichzeitig traurig, weil ich nicht so gut wie die anderen war. Ständig musste ich mich mit den anderen Mädels vergleichen. Es entstand eine Art Emotions-Krieg und ich wollte nie mehr wieder Surfen lernen.

„Es ist toll, Zeit mit sich selbst zu verbringen.“

Der Alltag kehrte zurück und der Liebeskummer war mit der Zeit erträglicher. Ich ging zum ersten Mal ganz alleine nach Barcelona. Das war echt komisch für mich, denn ich wusste nicht, ob ich fähig bin alleine an einem fremden Ort zu sein. Nun kann ich sagen, es war die beste Entscheidung meines Lebens und es war wunderschön in Barca. Zudem ist das Hostel Gracia sehr gut gelegen. Alleine im Restaurant essen zu gehen, alleine ins Museum gehen. Es ist toll, Zeit mit sich selbst zu verbringen. So unausstehlich bin ich ja gar nicht!

Oft hatte ich Albträume von den fiesen, gigantischen Wellen aus Portugal, die mich jedes Mal in ihrem Bann zog und ich dann schweissgebadet im Bett erwachte. Das Surfen ging mir nie mehr aus dem Kopf und versuchte es zu ignorieren. Mein innerer Kritiker war sicher schuld an dem ganzen Dilemma.

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Nusa Lembongan, 2015

Irgendwann sagte ich zu ihm „Weisst du was, ich werde es nochmals versuchen, und werde dir beweisen, dass ich es doch irgendwie kann!“. Mit einem mulmigen Gefühl buchte ich bei Starsurfcamps und ging dann für zwei Wochen nach Bali. Und siehe da, ich konnte es mir selbst beweisen, surfen kann jeder, auch ich! Es braucht einfach Zeit und extrem viel Geduld (was ich ja nicht wirklich habe).

„Was tun? Die Emotionen akzeptieren!“

Ich habe mich wortwörtlich in’s Surfen verliebt. Die Wellen, der Wind, der weite Blick über das Meer und der Duft. Einfach ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Je mehr ich surfe, desto mehr nehme ich die Gegenwart wahr. Keine Gedanken über die Vergangenheit und der Zukunft, jede gute und weniger gute Emotionen fühle ich ganz genau im Körper und das einzige was man hier tun kann ist: die Emotionen zu akzeptieren. Surfen gibt mir das Gefühl, lebendig zu sein, mit allen Ecken und Kanten und das ist total in Ordnung.